Angebotsinduzierte Nachfrage-Effekte im akutstationären Bereich
Die “Angebotsinduzierten Nachfrage-Effekte” (Einwohner aus stark versorgten Regionen liegen häufiger im Spital) sind Österreich gegeben und teilweise sehr groß. Im Artikel wird das Thema zunächst theoretisch abgehandelt, danach werden die Ergebnisse der Regressionen dargestellt.
1) Theorie:
Arten der Angebotsinduzierten Nachfrage:
- “Entfernungsbedingte angebotsinduzierte Effekte” (dafür können Ärzte nichts!):
Grundsätzlich Sache der Versorgungsplanung: Menschen, die weiter weg von einem Spital wohnen, suchen tendenziell seltener ein Spital auf. Diese Effekte kann man nie ganz neutralisieren (außer man stellt in jede Gemeinde ein Spital), man kann sie jedoch durch gute Versorgungsplanung auf ein Minimum reduzieren. Leider wird die Versorgungsplanung in Österreich sehr oft politisch beeinflusst.
- “Arztbedingte angebotsinduzierte Effekt”
Dieser Effekt ist in der Regel Folge des Bettenrechtfertigungsdrucks (bei Überkapazitäten) und des betriebswirtschaftlichen Denkens. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist eigentlich das leere Spitalsbett/der leere OP bzw. der vermiedene Aufenthalt/die vermiedene Operation der Idealzustand. Ein Spital mit niedriger Auslastung ist oft ein Anzeichen, dass dort sehr viel richtig gemacht wird. In Österreich wird ein Spital mit niedriger Auslastung aber immer noch als „schlecht“ angesehen. Deshalb erfolgen bei schlechter Auslastung oft vermeidbare Aufnahmen (muss nicht immer gleich eine Operation sein!
Von “angebotsinduzierten Nachfrage-Effekten im aktutstationären Bereich” spricht man, (sehr technisch gesprochen) wenn ein Überangebot an stationären Inputs (allen voran überschüssige Akut-Betten) den stationären Output (stationäre Aufenthalte) über den natürlichen Bedarf hinaus erhöhen – aus volkswirtschaftlicher Sicht sehr bedenklich.
Grundsätzlich sollte es diesen (linearen) angebotsinduzierten Zusammenhang nur im Bereich der Unterversorgung geben (siehe Abb. 1: Angebotsniveau: 0 – 100%). In diesem Bereich ist der natürliche Bedarf der Bevölkerung nach stationären Gesundheitsleistungen größer ist als das Angebot. Unterversorgung herrscht sehr oft in Enwicklungs- und Schwellenländern vor, wo operationsbedürftige Bürger in der Regel im wahrsten Sinne des Wortes vor dem Spital “Schlange stehen”. Unterversorgung in Akut-Berreich trifft allerdings nicht auf Österreich zu (Österreich ist europaweit nach Deutschland Spitzenreiter bei der Akutbetten-Dichte).
Sobald jedoch das Angebot an Gesundheitsleistungen den natürlichen Bedarf übersteigt, sollte sich die Nachfrage (Abb. 1: grüne Linie, Idealfall) vom Angebot (Abb. 1: blaue Linie) entkoppeln und nicht mehr weitersteigen – theoretische Nachfrage-Obergrenze 100% – natürlicher Bedarf (Abb. 1.: violette Linie). Demnach sollte das Nachfrageniveau bei einem Angebotsnievau von 200% (Überversorgung) immer noch bei 100% liegen. In der Praxis steigt die Nachfrage (Abb. 1: rote Line, Praxisfall) jedoch auch im Bereich der Angebots-Überversorgung weiter an - bei einem Angebotsniveau von 200% wird die Nachfrage irgendwo zwichschen 100% und 200% liegen – angebotsinduzierte Nachfrage.
Abbildung 1: Unter- und Überversorgung
Quelle: Eigene Darstellung
Das Auftreten angebotsinduzierter Nachfrage-Effekte liegt einerseits daran, dass Spitalsärzte keine ihrer Betten verlieren wollen und deshalb häufig leere Betten mit vermeidbaren/unnötigen Aufnahmen befüllen. Im schlimmsten Fall kommt es sogar zu “unnötigen” Operation (!) – “a built bed is a filled bed“. Andererseits haben österreichische Spitalsärzte aber auch kaum Vergleichswerte zu anderen Spitalsärzten, was Operationshäufigkeiten betrifft, sprich: vielen Ärtzen ist gar nicht bewusst, dass sie vergleichsweise überdurchschnittlich oft zum Aufnahmen/Operationen neigen. Sehr gute Beispiele in dieser Hinsicht sind: Arthroskopien, Katarakt-, Blinddarm-, Hüftgelenks-, Kniegelenks-Operationen,… also Operationen, welche oft zu voreilig durchgeführt werden oder die teilweise durch konservative Medizin und Therapien vermieden werden können. Die Operationshäufigkeiten dazu sind unter den 32 ö. Versorgungsregionen sehr unterschiedlich. In Abb. 2 sieht man die Unterschiede bei Operationshäufigkeiten für ausgewählte Operationen auf Bundesländer-Ebene. Die Werte sind zwar nicht altersstandardisiert, die Unterscheide sind jedoch so hoch (73% bei Magenresektionen!), dass sie nicht mehr zur Gänze durch demographische Effekte erklärt werden können. Vor allem die Arthroskopie-Op.-Häufigkeit in Salzburg, die Blinddarm-Op.-Häufigkeit in Tirol oder Magen-Resektions-Häufigkeit in Kärnten sind sehr hoch.
Abbildung 2: Unterschiede bei (quellbezogenen) Operationshäufigkeiten 2009
Quelle: Eigene Darstellung u. Berechnung, Datengrundlage: ÖSG 2010
2) Empirie:
Im folgenden Teil wird das Thema “angebotsinduzierte Nachfrage-Effekte” methodisch bearbeitet. Dabei wird versucht die starken Unterschiede bei der Krankenhaushäufigkeit in den 32 österreichischsn Versorungsregeionen mit Hilfe einer Regressionsgleichung zu erklären. Die wichtigste Variable ist die Akutbetten-Dichte (Proxy für die angebotsinduzierten Nachfrage-Effekte). Als Kontroll-Variablen dienen im vereinfachten Modell Dichte der niedergelassenen/ambulanten Ärzte, eine Demographie-Variable und die durchschnittliche KH-Verweildauer. Die Berechnungen werden auf Gesamtebene (alle Fächer zusammen) und für ausgewählte Fächer dargestellt.
Regressionen-Ergebnisse:
abhängige Variable:
Krankenhaushäufigkeit bzw. Aufenthaltshäufigkeit (=Aufenthalte/EW)
unabhängige (erklärende) Variablen:
-) Bettendiche (=Akutbetten/EW)
-) Dichte der niedergelassenen/ambulanten Ärzte (=Ärzte / EW)
-) Anteil der Über-60-jährigen (=EW60+/EW)
-) durchschnittliche KH-Verweildauer (=Belagstage/Aufenthalte)
Datenpanel: 32 Versorgungsregionen; Jahre 2007+2009; für ausgewählte Fächer: IM (Innere Medizin), CH (Chirurgie), GGH (Gynäkologie u. Geburtshilfe), DER (Dermatologie), AU (Augenheilkunde), HNO (Hals, Nasen, Ohren), UC (Unfallchirurgie), OR (Orthopädie), URO (Urologie),…
Die 32 Regionen sind untereinander räumlich verknüpft – verbessert die Modell-Güte.
Regressionsgleich (log-level-Modell):
Aufenthalte/EW = a + b * Betten/EW + c * Amb.VZÄ/EW + d * EW60+ + e * VWD
Ergebnisse:
Bei den Zahlen in der Tabelle sind handelt es sich um die Regressionskoeffzienten (b, c, d, e), sie sind als Elastizitäten zu interpretieren. Beispiel: 1,11 (links oben) bedeutet: steigt auf Gesamtebene das Bettenangebot um 1%, steigen die Aufenthalte/EW um 1,11%!
Abbildung 3: Regressionsergebnisse
Quelle: Eigene Darstellung
Mittels Regressionprogramm wurde der Einfluss der jweiligen Variablen auf die Krankenahushäufigkeit (quellbezogene Aufenthalte / Einwohner) berechnet.
Die Zahlen in Abb. 3 sind als Elastizitäten zu verstehen:
Interpretation der Regressions-Elastizitäten für die Gesamtebene:
a) steigt die Bettendichte in der Region um 1%, steigt die KHH um 1,11% (hochsignifikanter Zusammenhang)
=> dabei handelt es sich um die angebotsinduzierten Effekte! Je größer das Bettenangebot in einer Region, desto öfter liegen die Regionsbewohner im Spital! Die angebotsinduzierten Effekte im österreichsichen Spitalswesen lassen sich also zumindest in diesem Modell nachwesien!
b) steigt die Dichte ambulanter Ärzte in der Region um 1%, sinkt die KHH um 0,65%
=> der niedergelassene und der spitalsambulante Bereich helfen den stationären Bereich zu entlasten! Das erklärt auch teilweise, wieso in OÖ die KHH so hoch ist. Denn speziell in OÖ sind die Krankenkassen sehr restritiv bei der Vergabe von Verträgen im niedergelassenen Bereich.
c) steigt der Anteil der über 60jährigen um 1%, steigt die KHH um 2,62%
=> dieser Effekt war zu erwarten. Je höher der Anteil älterer Personen in einer Region, desto höher ist die KHH.
d) sinkt die KH-Verweildauer um 1%, steigt die KHH um 0,37%
=> auch dieser Zusammenhang war zu erwarten. Seit der Einführung des LKF-Systems 1997 sind die Belagstage in KHs zwar etwas zurückgegangen, die Aufenthalte sind aber seither enorm gestiegen. Das liegt daran, dass im LKF-System nach erbrachten Leistungen (grob: nach Aufenthalten) abgrechnet wird, vor 1997 nach Bealgastagen. Wurden früher Patienten möglichst lang im Spital gehalten, werden sie nun verstärkt aufgenommen bzw. vozeitig entlassen und wiederaufgenommen. Die verkürzte Verweildauer ist also weniger ein Zeichen für eine Entlastung der Spitäler, sondern eher ein Zeichen für einen Fehlanreiz (“Mehrleistungsanreiz”) des LKF-Systems (Stichwort: Fall-Splitting).
Datenquellen: Datengrundlage: LKF-Modell 2009 u. 2007, ÖSG 2010 u. ÖSG 2008, ÖROK, Statistik Austria
Betten, Amb. VZÄ … aus ÖSG (Planungsmatrix)
Verweildauer = geplante Verweildauer für MHG-Gruppen und Fachbereichen zugeordnet… Verknüpfung aus ÖSG (Versorgungsmatrix) und LKF-Planuaufenthaltszeiten aus LKF-Modell
Anteil der über 60-jährigen: Datengrundlage: Statistik Austria; eigene Berechnungen