Aus betriebswirtschaftlicher Sichtweise sind die Krankenkassen in den letzten Jahren erfolgreich saniert worden, aus gesamtwirtschaftlicher Sichtweise überwiegen jedoch die weniger vorteilhaften Folgeeffekte auf Patienten, Arbeitnehmer und Unternehmen. Ähnlich wie die Sanierung des Bundes-Haushaltes u. der Länder-Haushalte, ist nämlich auch die Kassensanierung verstärkt auf Einnahmeneffekte zurückzuführen, nur bedingt auf Strukturmaßnahmen. So lag das Kassen-Ausgabenwachstum zwischen 2002 u. 2012 in etwa bei der Entwicklung des nominalen Bruttoinlandsprodukts, während die Beitragseinnahmen um 8,2% schneller gewachsen sind als die Wirtschaftskraft.
Nach einem Blick in die Hauptverbandsstatistik “Sozialversicherung in Zahlen 2013″ (LINK) ist die Kassensanierung eine stark einnahmenseitig geprägte Sanierung mit einem “Gewinner” und drei “Verlierern”: Also vorteilhaft für die Kassen (aus betriebswirtschaftlicher Sicht saniert), nachteilig für die Patienten (weniger Vertragsärzte), nachteilig für Arbeitnehmer-Gehälter bzw. Inlandskonsum (mehr Abgaben in Form von SV-Beiträgen) und nachteilig für die Unternehmen bzw. Wettbewerbsfähigkeit (SV-bedingt gestiegene Lohnnebenkosten) – siehe Tabelle.
Einnahmen:
In Zahlen ausgedrückt, sind die Kassen-Ausgaben zwischen 2002 u. 2012 um 40,5% gestiegen, während die Beitragseinnahmen um beachtliche 47,4% gewachsen sind! Im gleichen Zeitraum ist die Summe der Brutto-Einkommen der ö. Arbeitnehmer u. Unternehmer – das nominale Bruttoinlandsprodukt – jedoch nur um 39,2% gestiegen. Die Kassensanierung ist deshalb weniger auf Strukturmaßnahmen zurück zu führen, sondern verstärkt auf Einnahmeneffekte.
Wesentliche Einnahmentreiber der Kassen sind die Erhöhungen der Höchstbeitragsgrundlage – zuletzt um 5% auf 4.440 Euro! – und das jährliche Beschäftigungswachstum – demographisch bedingt derzeit jährlich in etwa 1%-1,5% Mehrbeschäftigung. Für Mehreinnahmen sind also Beitragssatz-Erhöhungen nicht notwenigerweise erforderlich.
Ausgaben:
Die Ausgaben entwickelten sich zwischen 2002 u. 2012 deutlich langsamer als die Einnahmen, wobei die geringeren Ausgaben weniger auf Strukturbereinigungen des Kassenapparates zurückzuführen sind (z.B.: Zusammenlegung der 22 öffentlichen Kassen), sondern vielmehr auf einen Rückgang der Kassenvertragsärzte (Zahnärzte: -1,3%, Allgemeinmediziner: -3,5%; Fachärzte: -7,8%). Die dadurch verminderte Versorgungsdichte im niedergelassenen Vertragsärztebereich wird durch einen Bevölkerungsanstieg von 4,3% (2002-2012) zusätzlich reduziert.
Wieso der Vertragsärzte-Rückgang, ist nicht ganz geklärt, zumindest haben die Kassen ein ernsthaftes Problem für den niedergelassenen Bereich Ärzte zu finden! Und das obwohl die GÖG zwischen 2010 und 2030 einen Mehrbedarf an Ärzten im niedergelassenen Bereich von 20% prognostiziert hat. Gleichzeitig hat man sich Bundeszielsteuerungsvertrag dazu verpflichtet künftig mehr Patienten ambulant zu versorgen. Wie das bei der aktuellen Entwicklung gelingen soll, ist fraglich.
Ausblick:
Mittelfristig brauchen die Kassen wohl einen nötigen gesamtwirtschaftlichen Turnaround vom fragwürdigen betriebswirtschaftlichen Turnaround (also der sogenannten “Kassensanierung”). Daraus entstehende Kassendefizite sollten nicht gleich als Misserfolg der Kassen gewertet werden, da eine unreflektierte betriebswirtschaftliche Sichtweise im Gesundheitswesen nur Schaden anrichtet. Die mittelfristig “nötigen” Defizite sollten aber nicht über Steigerungen der Beitragseinnahmen finanziert werden, sondern über Umschichtungen aus dem stationären Bereich (ein bekanntes Thema)! Denn der private Inlandskonsum u. die ö. Wettbewerbsfähigkeit sind ohnehin schon stark belastet (siehe Grafik). Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass die Erfolg bei der Kassensanierung eindeutig zu betriebwirtschaftlich definiert wird und sich viele Entscheidungsträger offensichtlich gar nicht bewusst sind, welche negativen Folgeeffekte diese Art der Sanierung mit sich gebracht hat.