Die LSE-SV-Effizienz-Studie (LINK) ist sehr teuer (630.000 Euro), aber OK. OK, wie die WKÖ-SV-Studie (LINK) und die IHS/IV-SV-Studie (LINK), die aber deutlich günstiger waren. Alle 3 Studien wären eine gute Grundlage für die Weiterentwicklung der öst. Sozialversicherung. Die Betonung liegt auf “wären”. Es ist nämlich in Österreich unter den gegebenen politischen Umständen (Würgegriff der reformophoben Kammern und SPÖVP) absolut sinnlos über die Weiterentwicklung des Krankenkassensystems zu diskutieren, weil nix Brauchbares dabei raus, außer das Abstecken der eigenen Territorien. Speziell die Schlüsse, die die “Sozialbastler” und ihr Sozialminister Stöger heute aus der Studie gezogen haben, sind sehr selektiv. Im Grunde genommen ist genau das passiert, was bereits bei der Gesundheitsreform 2013 passiert ist. Damals wurden vom IHS in einer umfassenden Studie (LINK) fünf Reform-Vorschläge zur Schaffung „Finanzierung aus einer Hand“ und ein politisch vorgegebener Vorschlag zur „Finanzierung aus ZWEI Händen“ (dem partnerschaftlichen Modell) gemacht. Entschieden hat man sich natürlich für den letzten Vorschlag, wodurch sich für die Sozialbastler und Landeshauptleute nix änderte. Genauso jetzt. Die LSE hat drei ernsthafte Vorschläge zur Neugestaltung der SV (z.B.: Zusammenlegung von KV, UV u. PV) und einen politisch vorgegebenen Vorschlag gemacht. Im politisch vorgegebenen Vorschlag bleibt alles gleich und die Kassen sollen einfach nur bissal mehr kooperieren (partnerschaftliches Modell). Stöger war natürlich gleich der größte Fan vom partnerschaftlichen Modell, wo sich nichts ändert, weil Veränderung für die Sozialbastler schlecht ist. Tja, die SV, die veränderungsunwillige Konstante in einer sich weiterentwickelnden Welt. Keine Spur davon, dass die Menschen im Vordergrund stehen sollen. Es geht wie immer um die Posten und Pöstlchen…
„Key Findings“ der LSE-Studie
Wurscht, vergessen wir mal was der völlig überforderte Sozialminister heute präsentiert hat, er wird ohnehin hoffentlich schon im Herbst Geschichte sein. Nehmen wir die Studie mal so hin wie sie ist, auch wenn sich die „London School of Economics“ von den Sozialbastlern die falsche 2,8% Verwaltungskosten-Quote, in der Gebäudeabschreibungen, IT-Auslagerungen, ELGA, Verbandsbeiträge,… fehlen, aufschwazen hat lassen. Was den Forschen der LSE wichtig war („Key Findings“), steht im Pressekonferenz-Foliensatz auf Folie 4. (LINK)
Haupt-Erkenntnis 1 ist, dass das österreichische Gesundheitssystem super ist. Ok, soll so sein, für 630.000 Euro kann man das öst. Gesundheitssystem schon mal bissal loben. Bussi, bussi.
Worauf es aber ankommt, sind Punkt 2 und Punkt 3
Haupt-Erkenntnis 2 behandelt die zersplitterte Verantwortlichkeit im Gesundheitssystem (Dualität: Kassen und Länder) und suggeriert die „Finanzierung aus einer Hand“. Das wissen wir eigentlich schon längst, es gibt ja auch die oben erwähnte IHS-Studie, die sich einschlägig damit beschäftigt. Das muss eigentlich nur noch umgesetzt werden. Biach, mach was.
Auch nicht neu, aber oft nicht beachtet, ist Haupt-Erkenntnis 3, nämlich dass ein umfassender Risikostrukturausgleich fehlt. Die LSE hat diesbezüglich vernichtend festgestellt:
“Die derzeitige Finanzierungslandschaft birgt Schieflagen zwischen den einzelnen Versichertengruppen und den SteuerzahlerInnen insgesamt. Es gibt nur einen unzureichenden Risikostrukturausgleich. Die Gebietskrankenkassen schultern besondere Risiken der Versichertenstruktur (z.B. Arbeitslose, Mindestsicherungsbezieher, Asylwerber usw.), die andere Träger nicht zu tragen haben.”
Die Feststellung ist ein Armutszeugnis für das ö. Kassensystem – siehe Grafik unten. Ich persönlich, als Mensch mit 4 Jahren Erfahrung im deutschen Kassensystem, speziell im RSA-Bereich, kann diese Feststellung nur bestätigen. Es gibt im ö. Kassensystem keine finanzielle Startgerechtigkeit, wie sie in den wettbewerbsorientierten Kassensystemen Deutschland, Holland und Schweiz selbstverständlich ist und auch für den fairen Kassenwettbewerb Grundvoraussetzung ist. Das muss man auch mal sagen, für die Sozialbastler ist ja nicht nur der Kassenwettbewerb böse, sondern auch die faire finanzielle Grundausstattung der Krankenkassen! Aber das sind unsere Sozialbastler, bei jeder Gelegenheit von anderen Verteilungsgerechtigkeit einfordern, aber wenn es darum geht, im eigenen Wirkungsbereich für faire Verhältnisse zu sorgen, da ist man dann nicht mehr so laut (LINK).
Leistungsharmonisierung kann ohne Risikostrukturausgleich nicht funken
Und weil Sozialminister und Hauptverbandschef heute auch die Leistungsharmonisierung betont haben. Ohne umfassenden und funtkionierenden Risikostrukturausgleich braucht man über die Harmonisierung der Arzthonorare und der Kassen-Versichertenleistungen gar nicht erst weiterzureden, weil sich die ärmeren Kassen (GKKn) die Harmonisierung systembedingt systematisch nicht leisten können (siehe Grafik oben). Da können sich der Sozialminister und der Hauptverbandschef noch so sehr für die Harmonisierung der Leistungen einsetzen, ohne finanzielle Startgerechtigkeit funkt ihr Vorhaben nicht. Würde man endlich einen umfassenden Risikostrukturausgleich einführen, hätte man somit viele Probleme auf einmal grundlegend gelöst. Denn die finanzielle Schieflage der Kassen zieht sich in viele Bereiche durch, wie ein Folgefehler.
Sollte sich die Regierung doch irgendwann für einen umfassenden Risikostrukturausgleich entscheiden, hat die LSE-Studie die rechtlichen Voraussetzungen im juristischen Teil geliefert (Harmonisierung des Beitragsrechts).
Persönliche Schlussfolgerungen
So unrealistisch größere Änderungen in Österreich sind, der Studie nach, müssen die Sozialbastler zunächst das Beitragsrecht ändern, im Grunde nur noch ein SVG (statt ASVG, BSVG, GSVG,…), danach einen Risikostrukturausgleich etablieren, der sämtliche Kassen umfasst. Soweit die Studie. Anreiztechnisch am besten in Kombination mit der Finanzierung aus einer Hand, der Abschaffung der Mehrfachversicherung und der Schaffung eines einheitlichen Leistungskatalogs. Um die Kassenvielfalt durch den einheitlichen Leistungskatalog nicht überflüssig zu machen, bräuchte es noch kassenindividuelle Zusatzleistungen, die über einen Zusatzbeitrag finanziert wären. Das reicht dann von der günstigen Discount-Kasse bis zu teuren Qualitäts-Kasse. Ja, und natürlich die Wahlfreiheit zwischen Selbstbehalt- und Vollversicherungs-Modellen. Wenn wir zumindest das schaffen, sind wir schon dort, wo Deutschland bereits 1994/1995 war. Zwar immer noch kein Kassenwettbewerb, aber ein System mit effizienten und fairen finanziellen Grundvoraussetzungen (der Kassenwettbewerb wurde erst 1996 eingeführt).
Abschließend: Was Kassenfusionen betrifft, ich halte nichts von der Einheitskasse oder zu wenig Kassen. Kassenwettbewerb wäre am besten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Einheitskasse oder zu wenig Kassen positiv auf die Gesundheitsinnovation und Patientenzufriedenheit auswirken würden. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich auch, dass es im deutschen Wettbewerbskassensystem attraktiver zu arbeiten ist als im beamtenhaften öst. System. Man kann aber sehr wohl über die Tiefe der Kassen (z.B.: KV+UV unter einem Dach) diskutieren, wie es in der LSE Studie getan wird.
Der despektierliche Begriff „Sozialbastler“ stammt übrigens von Wolfgang Schüssel, der es zumindest unter Schwarz-Blau geschafft hat, dass sich die Versichertenstruktur-bedingt reiche Beamtenversicherung am Ausgleichsfonds der benachteiligten GKKn beteiligen hat müssen. Bis der VfGH die Regelung gekippt hat…