Der SPÖ-Abwehrkampf gegen die Kassen-Zusammenlegung nimmt kuriose Züge an. Ein Fakten-Check einer SPÖ-Presseaussendung.
Die SPÖ blockt erneut gegen eine Kassen-Zusammenlegung. Die Oppositions-Forderung einer Zusammenlegung ist mittlerweile 30 Jahre alt. Die Forderung taucht seither in regemäßigen Abständen auf, so eine Art Loch-Ness. Ursprünglich eine FPÖ-Forderung, mittlerweile steht aber die gesamte Opposition dahinter, da schwer vermittelbar ist, wieso es zig Kassen braucht, obwohl es keinen Kassen-Wettbewerb gibt. Fakt ist, dass die Kassenfülle der AK (SPÖ) und der WK (ÖVP) eine Reihe von Versorgungsposten und –pöstelchen garantiert. Kürzlich hat die FPÖ, die bis auf 2000-2006 hinter ihrer Forderung stand, wieder einen diesbezüglichen Antrag eingebracht. Wer denkt, dass die SPÖ, die sich am vehementesten gegen die Kassen-Zusammenlegung wehrt, nach 30 Jahren argumentativ perfekt gegen diese Forderung vorbereitet ist, irrt gewaltig. Der parlamentarische Gesundheitssprecher der SPÖ, Erwin Spindelberger (Kämmerer und ehemaliger Kassen-Vize-Chef…) hat mittels Presseaussendung mehr schlecht als recht gekontert (LINK). Wenn man sich die Aussendung so durchliest, hat man das Gefühl, Spindelberger ist das erste Mal mit der Zusammenlegungs-Forderung konfrontiert. Vor allem das von Fusionen geprägte deutsche Wettbewerbs-Kassensystem wird erneut in einer sehr dilettantischen Art und Weise runtergemacht. Die Aussendung ist im Grunde eine Mischung aus sehr viel Halb-Wissen, Nicht-Wissen und bewusster Fehlinformation. Aber gut, seit die SPÖ-nahen Sozialpartner (AK, ÖGB bzw. Stöger, Oberhauser, Spindelberger,…) die SPÖ-Gesundheitspolitik übernommen haben, stehen die Zeichen noch deutlicher auf Zementieren und Blockieren, egal wie, und offensichtlich ist nichts zu peinlich.
Persönliche Meinung des Autors: Ich arbeite im deutschen Wettbewerbs-Kassensystem. Ein System mit mehr als 20 Kassen OHNE Wettbewerb ist nicht mehr zeitgemäß. Ein monopolistisches „Einheitskassen“-System birgt jedoch die Gefahr, dass wir am Ende mit einer behördenhaften, spießbürgerlichen Monster-Institution konfrontiert sein könnten. Darum wär mir persönlich ein Wettbewerbs-Kassensystem lieber, wie z.B. in Deutschland, Holland (mein Favorit) oder der Schweiz. Sollte das scheitern, kann man immer noch zur „Einheitskasse“ übergehen.
Zurück zum Thema. Im Folgenden werden die Aussagen der Spindelberger-Presseaussendung geprüft.
Fakten-Check der SPÖ-Presseaussendung:
Kernpunkte der Presseaussendung von Erwin Spindelberger:
(1) Das bewährte ASVG-System garantiert einheitliche Versorgungsstandards
(2) Kassen-Fusionen haben deutsche Kassen nicht effizienter gemacht
(3) Kassen-Fusionen führen zu Zentralismus und verhindern die Berücksichtigung des regionalen Bedarfs
(4) deutsche GKV ist doppelt so teuer wie die hiesige Krankenversicherung
(5) deutsche KV-Beiträge sind massiv angestiegen
(6) Um Kosten zu sparen, unterschreiben viele, vor allem junge Menschen, bedenkliche Lockverträge, die mit Leistungsaussparungen verbunden sind
Fakten-Check meinerseits (Controller einer deutschen Krankenkasse)
(1) Spindelberger: „Das bewährte ASVG-System garantiert einheitliche Versorgungsstandards“
FALSCH: es gibt im ö. Kassensystem keine einheitlichen Versorgungsstandards. Mal abgesehen von den angebotsseitigen Verwerfungen, ist die Finanzkraft ö. Kassen (im Gegensatz zu dt. Kassen) signifikant von der Finanzkraft der jeweiligen Kassen-Versichertenklientel abhängig. Entsprechend gibt es in Österreich reiche Kassen (BVA) und arme Kassen (BGKK), was sich in unterschiedlichen Leistungskatalogen widerspiegelt. Folglich ist das ö. Kassensystem, verglichen zum dt. Kassensystem, hochgradig unsolidarisch. Ich sage nur Kur- und Reha-Aufenthalte. In Deutschland verhindert ein ausgeprägter Kassen-Finanzausgleich („Morbi-RSA“), dass Kassen mit älteren/morbideren/einkommensschwächeren Versicherten finanzielle Nachteile haben.
(2) Spindelberger: Kassen-Fusionen haben Kassen nicht effizienter gemacht
FALSCH: Seit 1999 (erstes veröffentlichtes Jahr der GKV-Finanzstatistik – KJ1/KV45) haben sich die GKV-Kassen von 455 auf 118 zusammenfusioniert, gleichzeitig ist die Verwaltungskostenquote von 5,5% auf 5,2% zurückgegangen.
Die größte dt. Kasse, die Techniker Krankenkasse (TK), ist übrigens mit 10 Mio. Versicherten größer als alle ö. Kassen zusammen und lag 2014 mit 5,1% Verwaltungsausgaben-Quote wieder leicht unter dem GKV-Schnitt. Und das obwohl die größeren dt. Kassen deutlich mehr Aufgaben übernehmen als kleine Kassen. Sei es Versorgungsforschung, wofür die TK eine eigene Forschungseinrichtung unterhält (WINEG). Oder sei es die Berechnung von KH-Quali-Indikatoren und deren Veröffentlichung (siehe AOK- bzw. TK-KH-Navigator). Die bayerische Regional-Verwaltung der TK hat beispielsweise im Sommer KH-Quali-Rankings für wichtige Indikationen in bayerischen Zeitungen veröffentlicht (LINK). Ö. Kassen sind von Quali-Rankings weit entfernt, obwohl sie auf der DIAG-Datenbank (KH-Daten) sitzen, die für die Berechnung von KH-Quali-Indikatoren erforderlich ist.
(3) Kassen-Fusionen führen zu Zentralismus und verhindern die Berücksichtigung des regionalen Bedarfs
FALSCH: Durch die Kassen-Fusionen würde sich an der operativen Kassen-Struktur nichts ändern, allerdings würde man sich sämtliche repräsentative Posten und Pöstlchen in den Kassen-Kontrollorganen ersparen. Also AK-ler und WK-ler, die im Ernstfall ohnehin nie Verantwortung übernehmen. Insgesamt hätte man eine Einsparung von schätzungsweise 300 parteipolitisch vergebenen Posten. Zum Vergleich, die größte deutsche Kasse (Techniker KK, 10 Mio. Versicherte) besitzt gerade mal 30 ehrenamtliche Aufsichtsräte (Verwaltungsrat). Bleiben wir bei der TK. Sie hat ihren Stammsitz in Hamburg, unterhält in den 16 Bundesländern regionalspezifische Sub-Verwaltungen, unter denen sich nochmal 252 Regional-Geschäftsstellen befinden. Also keine Spur von Zentralismus oder Unkenntnis des regionalen Bedarfs. Mal davon abgesehen, dass es durch die deutlich geringere Zahl von Führungsposten zu viel schnelleren Entscheidungen kommt, ohne das sich zig Parteipolitiker gegenseitig blockieren.
(4) Spindelberger: Die deutsche GKV ist doppelt so teuer wie die hiesige Krankenversicherung
FALSCH: Sorry, aber die deutschen Kassen finanzieren (im Gegensatz zu ö. Kassen) nicht nur den ambulanten Bereich, sondern auch die Spitäler. Außerdem liegt die deutsche Höchstbeitragsgrundlage („Beitragsbemessungsgrenze“) mit 51.000 Euro deutlich niedriger als in Österreich (68.000 Euro). Na logischerweise sind in Deutschland die KV-Beitragssätze (15,6%) deutlich höher als in Österreich (ca. 7%).
(5) Spindelberger: Die deutschen KV-Beiträge sind massiv angestiegen
FALSCH: Von 2011 bis 2014 waren die Beiträge eigentlich sogar einige Jahre auf 15,5% fixiert. Seit 2015 sind die Beitragssätze der Kassen wieder frei wählbar. 2016 ist dann der durchschnittliche Beitragssatz erstmals seit 2011 wieder gestiegen, nämlich um einen Zehntelpunkt auf 15,6%. Selbst diese kleine Steigung ist begründbar. Der Bundeszuschuss für kassenfremde Leistungen ist nämlich seit 2010 kontinuierlich von 16 Mrd. auf 10 Mrd. Euro gesenkt worden. In Österreich finden Beitragssteigerungen übrigens fast ausschließlich über die Erhöhung der Höchstbeitragsgrundlage statt. 2016 ist sie fulminant um 5% gestiegen! Die Ironie dabei: Ö. Versicherte werden massiv zur Kasse gebeten, gleichzeitig entgehen viele AK-/WK-„Luxus-Pensionisten“ dem verschärften Solidarbeitrag, weil der Solidarbeitrag von der Höhe der HBGL abhängt. Gratuliere zu dieser katastrophalen Leistung und Optik, liebe Sozialpartner.
(6) Spindelberger: Um Kosten zu sparen, unterschreiben viele, vor allem junge Menschen, bedenkliche Lockverträge, die mit Leistungsaussparungen verbunden sind
FALSCH: Die Spindelberger-Presseaussendung wird immer wilder. Lockangebote verbunden mit Leistungseinsparungen!? Sorry, erstens ist in der GKV bis auf einige Satzungs-/Ermessens-Leistungen das Leistungsspektrum vorgegeben (95% der Leistungen). Und zweitens, wer im dt. Kassensystem die Versicherten pflanzt, verliert relativ schnell seine Versicherten, in Deutschland gilt nämlich die freie Kassenwahl. Der „Versicherte ist hier König“ und nicht die GKK. Jeder der mal in einer ö. Kasse war, wird von der Selbstverwaltung enttäuscht sein. Eine ö. Kasse ähnelt eher einer dem Bund unterstellten MA2412-haften Behörde. Deutsche Kassen hingegen leben die Selbstverwaltung. Gesetze werden im Sinne des Versicherten interpretiert. Und da wir keine behördenhaften Paragraphenreiter sein wollen, wird der Kunde wie der eigene Bruder und nicht wie eine lästige Nummer behandelt. Das ist die Wirkung des Wettbewerbs. Aber bei dem Wort “Wettbewerb” zuckt leider so mancher AK- bzw. WK-Funktionär zusammen, vor allem die über 50.
Tja, das wars vorerst, ich hoffe, die Message ist angekommen. Der Kassenfusions-Abwehrkampf der SPÖ nimmt mittlerweile wirklich kuriose Züge an. Und bevor die SPÖ das nächste mal eine dermaßen dilettantische Attacke gegen das deutsche Kassen-System startet, bitte beim sozialdemokratischen Gesundheits-Mastermind im deutschen Bundestag, Karl Lauterbach (LINK), informieren, er kennt si aus.