Die österreichische Wirtschaft wächst bis 2016 jährlich um 3,6 Prozent und somit deutlich stärker als das europäische Konjunktur-Zugpferd Deutschland. Das glauben Sie mir wahrscheinlich nicht. Ich behaupte es auch nicht. Es ist die zentrale Annahme der „Reformpartner“ (Bund, Länder, Kassen) bei der Berechnung der Ausgabengrenzen für Spitäler/Kassen bis 2016 – Zielsteuerung, Gesundheitsreform 2013. Die Prognose war schon vor Beschlussfassung der Reform im Juni 2013 veraltet und zu optimistisch. Der parlamentarische Budgetdienst warnte im Frühjahr 2013. Wirkungslos.
Überzogen wirken auch die Annahmen zur Gesundheitsausgabenentwicklung für die Vorreformphase 2012/2013. Für diese Jahre hatte man im Juni 2013 noch keine endgültigen Rechnungsabschlüsse vorliegen, die als Basis für Ausgabengrenzen der Folgejahre dienen hätten können. Aber was setzt man nun für die zwei „Fensterl-Jahre“ an? Man hätte etwa die Ausgabensteigerungen der letzten Jahre fortschreiben können. Seit dem dauerhaften wirtschaftlichen Abschwung 2009 jährlich ca. drei Prozent oder laut Zielsteuerungs-Vertrag 3,3 Prozent im Jahr 2011. Der Rechnungshof wies im März 2013 darauf hin.
Wirkungslos. Die prognostizierten Steigerungsraten der nominalen Wirtschaftsleistung für 2012/2013 (2,8%/1,7%) hätten sich ebenfalls angeboten. Schließlich ist es das Ziel der Gesundheitsreform, das Ausgabenwachstum mit dem nominalen Wirtschaftswachstum zu begrenzen, um die Gesundheitsausgaben-Quote (=Spitals-/Kassen-Ausgaben je BIP) zu stabilisieren. No way, stattdessen erwarteten die „Reformpartner“ deutlich höhere Ausgabensteigerungen, nämlich 4,3 Prozent (2012) und 4,1 Prozent (2013). Von einer Stabilisierung der Gesundheitsausgaben-Quote ist man damit weit entfernt.
Eine rückwirkend greifende Reform
Wie auch immer, es bietet uns zumindest eine gute Gelegenheit zu prüfen, wie genau die „Reformpartner“ 2013 ihre 2012er-Rechnungsabschlüsse einschätzen konnten. Mittlerweile liegen ja endgültige 2012er-Zahlen vor (Monitoring-Bericht). Ernüchterung: 4,3 Prozent und 4,1 Prozent waren ziemlich schlechte Schätzwerte. In der Einzelbetrachtung konnten nur zwei von 23 Ländern/Kassen im Juni 2013 ihre 2012er-Rechnungsabschlüsse mit +/-einprozentiger Genauigkeit angeben. Acht Länder/Kassen verfehlten die Wirklichkeit sogar um drei bis acht Prozent. In Summe haben sich die „Reformpartner“ um 399 Millionen Euro verschätzt. Alles kein Problem, denn die PR der „Reformpartner“ funktioniert beeindruckend. Man verkaufte die schlechte Selbsteinschätzung einfach als Einsparung. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: eine Reform, die 2013 beschlossen wurde, erst 2014 zu wirken beginnen konnte, aber schon 2012 Einsparungen brachte. Eine rückwirkend greifende Reform also! Wow.
Natürlich wird es um die Prognosefähigkeit der „Reformpartner“ gar nicht so schlecht bestellt sein. Die wissen sehr genau, was sie tun. Man hat offensichtlich bewusst für 2012/2013 überhöhte Ausgabensteigerungen angenommen, um sich bis 2016 höhere Ausgabengrenzen und damit zusätzlichen Ausgabenspielraum zu verschaffen. Kumuliert 5,3 Milliarden Euro mehr, als das BIP-Wachstum zugelassen hätte! Hut ab, genial inszeniert von den „Reformpartnern“, niemand hat den zweifelhaften Geniestreich bemerkt.
Effizienzsteigerungsdruck fehlt
Aber nicht nur, dass es sich bei den Ausgabengrenzen eher um Geldschleusen handelt, es ist darin auch kaum Struktur erkennbar. So wurden allen Kassen gleiche Ausgabensteigerungen zu gestanden. Dass Wiener im niedergelassenen Bereich pro Kopf knapp 20 Prozent mehr Ausgaben verursachen als Vorarlberger. Unberücksichtigt. Dass der Versichertenstand der Eisenbahnerkasse jährlich um zwei Prozent schrumpft, während die GKK Burgenland mit einem jährlichen Wachstum von 1,5 Prozent konfrontiert ist. Unberücksichtigt. Also selbst riesige Versorgungsunterschiede oder deutlich divergierende Versichertendynamiken bleiben vernachlässigt. Hm …
Nun ja, um zusammenzufassen: Die Ausgabengrenzen basieren auf zu optimistischen BIP-Prognosen und sind zu hoch angesetzt – kumuliert um etwa 5,3 Milliarden Euro. Damit fehlt der nötige Effizienzsteigerungsdruck für echte Einsparungen. Die Kassen-Ausgabengrenzen weisen zudem keine sinnvolle Struktur auf und verfestigen folglich bestehende Versorgungsunterschiede bzw. behindern wachsende Kassen. Dass ausgerechnet das kostengünstigste Bundesland, Vorarlberg, die größten Probleme hat, die Ausgabengrenzen einzuhalten, zeigt am deutlichsten, wie wenig durchdacht die Ausgabengrenzen sind. Kaschiert werden die Unzulänglichkeiten mit hervorragender Kommunikation. Kommunikation stabilisiert jedoch keine Gesundheitsausgaben-Quote – das Ziel der Reform. Diese wird von 5,8 Prozent (2011) kontinuierlich auf 6,3 Prozent (2016) ansteigen und mit ihr die rekordverdächtige Abgabenbelastung. Schlecht für die Reallöhne der Arbeitnehmer. Schlecht für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Kurz: schlecht für die Wirtschaft. Wir können deshalb froh sein, wenn unsere Wirtschaft bis 2016 nur annährend halb so schnell wächst, wie in der Zielsteuerung angenommen.
ÖKZ-Beitrag (LINK)