Der Krankenkassen-Ausgleichsfonds. Funktioniert er? Ist Krankenkassen-Wettbewerb möglich?
Zusammenfassung: Bei den Versicherten-Altersstrukturen der neun Gebietskrankenkassen gibt es deutliche Unterschiede. Eine höhere Altersstruktur bedeutet in der Regel Nachteile sowohl auf der Einnahmenseite als auch auf der Ausgabenseite. Um diese Nachteile auszugleichen, wurde der sogenannte „Ausgleichsfonds“ (ca. 1% der GKK-Einnahmen) geschaffen. Die Analyse zeigt, dass der Ausgleichsfonds (§447 ASVG – LINK) tatsächlich zugunsten der “älteren” GKKs kompensierend wirkt und dass der Österreichische Risikoausgleich, im Gegensatz zum Deutschen “Risikostrukturausgleich”, auch infrastrukturelle Unterschiede berücksichtigt (“Großstadtfaktor” für Wiener GKK). Eine erhebliche Ausgleichswirkung kann zudem über die Nicht-Beitragseinnahmen (ca. 14% der GKK-Einnahmen) nachgewiesen werden. Grundsätzlich kann man sagen, dass es im GKK-System einen funktionierenden Risiko-Ausgleich gibt, der Basis für einen Kassenwettbewerb sein könnte. Ein finanzieller Risiko-Ausgleich zwischen Kassen, um Risiko-Selektion zu vermeiden, ist in Kassenwettbewerbsländern üblich. Für Kassenwettbewerb müsste der Ausgleichsfonds allerdings höchstwahrscheinlich etwas größer bemessen werden. Außerdem müsste man den Ausgleichsfonds um einen methodisch definierten Zuweisungsmechanismus ergänzen, um Objektivität und Transparenz bei der Verteilung des Fonds-Volumens zu gewährleisten (siehe Deutschland, Niederlande, Schweiz). Und um die Wiener GKK aufgrund der ambulanten Überversorgung in Wien nicht innerhalb kürzester Zeit in das finanzielle Aus zu treiben, müsste wohl (vorläufig) die infrastrukturelle Komponente (“Großstadtfaktor”) aufrechterhalten werden. Bei der Anwendung des Dt. Risikostrukturausgleich-Modells, das keinen infrastrukturellen Ausgleich vorsieht, würde die Wiener GKK nämlich ca. 250 Euro je Versicherten an die Bundesländer-GKKs verlieren und enorme Verluste schreiben.
Allgemeines
Die neun österreichischen Gebietskrankenkassen finanzieren sich zu einem Großteil durch Krankenkassen-Beiträge und Kosten-Beiträge der Versicherten. Man kann dabei beobachten, dass die Beitragseinnahmen der Krankenkassen sehr stark von der Versichertenstruktur bzw. der Altersstruktur der Versicherten abhängen. Auch die Ausgabenseite wird maßgeblich von der Altersstruktur getrieben. Das Problem, dass sich daraus ergibt, ist durchaus beträchtlich, denn eine überdurchschnittlich alte Versichertenstruktur bedeutet sowohl auf der Einnahmenseite als auch auf der Ausgabenseite Nachteile! Und diese Benachteiligungen sind in der Regel nur minimal durch Effizienzvorteile kompensieren. Im GKK-System sollen diese Verzerrungen mit Hilfe des sogenannten “Ausgleichsfonds” (nicht zu verwechseln mit dem “Kassenstrukturfonds” – LINK) behoben werden, der strukturelle Nachteile der Kassen ausgleicht. Die Dimension des Ausgleichsfonds ist dabei mit 1,64% der GKK-Beitragseinnahmen bemessen (LINK).
Grundsätzlich ergeben sich daraus folgende Fragen:
(a) Ist der Ausgleichsfonds eigentlich notwendig?
(b) Ist der Ausgleichsfonds groß genug bemessen?
(c) Ist der Ausgleichsfonds treffsicher?
(d) Wäre mit dem aktuellen Ausgleich fairer Kassenwettbewerb möglich?
(A) Braucht es eigentlich einen Ausgleichsfonds? (Ja)
Mit Hilfe einer einfachen Korrelationsanalyse lässt sich bestätigen, dass für das GKK-System ein Ausgleichsfonds notwendig ist. Denn die Altersstruktur der Versicherten hat maßgeblichen Einfluss auf die Einnahmen- und Ausgabenpositionen einer Kasse. „Ältere“ Krankenkassen sind dabei erheblich benachteiligt und könnten diese Nachteile ohne Ausgleichsfonds nur durch deutliche Leistungskürzungen oder Beitragserhöhungen kompensieren.
Was zeigt die Korrelationsanalyse im Detail (Abb. 1). Nun, die Versicherten-Altersstruktur, gemessen mit dem Durchschnittsalter, schwankt zwischen Bodensee (GKK Vorarlberg: 40,0 Jahre) dem Neusiedlersee (GKK Burgenland: 43,8 Jahre) beträchtlich. Die Unterschiede in der Altersstruktur spiegeln sich in den Versicherten-Erwerbssituation wider. So zeigen die Zahlen deutlich, dass mit zunehmendem Durchschnittsalter der Versicherten-Anteil der Erwerbsfähigen sinkt bzw. die Pensionisten-Quote steigt. Und während Pensionisten für eine Krankenkasse niedrigere Beitragseinnahmen bzw. erhöhte Ausgaben bedeuten (zwei negative Effekte), verhält es sich bei den erwerbsfähigen Versicherten genau umgekehrt, sie bringen höhere Beitragseinnahmen bzw. verursachen niedrigere Ausgaben (zwei positive Effekte).
Die Zusammenhänge zeigen sich stärker, wenn man die Wiener Gebietskrankenkasse aus der Analyse ausnimmt – speziell bei den Leistungsausgaben. Die WGKK fällt insofern aus dem Rahmen, weil sie aufgrund der erhöhten Wiener Versorgungsdichte (aktuelle 281 niedergelassene Ärzte-VZÄ über dem Bedarf, siehe LINK) die mit Abstand höchsten Ausgaben je Versicherten ausweist – angebotsinduzierte Nachfrage (LINK). Die Korrelations-Analyse “mit” und “ohne” Wien ist im Anhang zu finden (Tabelle 1).
(B) Ist der Ausgleichsfonds groß genug bemessen? (Bedingt)
Alles in allem bestätigen die Zusammenhänge aus der Regressionsanalyse auf den ersten Blick, dass im GKK-System der angewandte Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen unter den derzeitigen Rahmenbedingungen ausreichend bemessen zu sein scheint und dass ein Ausgleich zugunsten der „älteren“ Krankenkassen stattfindet (altersstruktureller Ausgleich). Allerdings fällt auf, dass bereits ein erheblicher Ausgleich über die Nicht-Beitrags-Erträge (14% der Kassen-Erträge; Ertragsposition 12 – 18 in den Geschäftsberichten) stattfindet, die größenbedingt stärker wirken als der Ausgleichsfonds (ca. 1% der Kassen-Erträge). Im Besonderen bei Ertragsposition 13 („Ersätze für Leistungsaufwendungen“), könnte dem Bund ein wesentlicher Steuerhebel zur Kompensation von Strukturnachteilen zur Verfügung stehen (LINK). Denn speziell die beitragsschwachen GKKs Burgenland (312 Euro je Vers.) und Kärnten (236), sowie das ausgabeintensive Wien (347) lukrieren über diese Position die höchsten Erträge.
In Abb. 2 sieht man nun die Ertragssituation der Krankenkassen, aufgebaut in drei Stufen, und deren Abhängigkeit von der Altersstruktur der Krankenkassen. In der ersten Stufe (rote Punkte/Linie) erkennt man (wie bereits im vorangegangen Punkt), dass die Beitragseinnahmen leicht signifikant mit den Durchschnittsalter der Kasse zusammenhängen => je älter die Versichertenstruktur, desto geringer die Beitragseinnahmen. In der zweiten Stufe (blaue Punkte/Linie) werden die Beitragseinnahmen um die Nicht-Beitrags-Einnahmen ergänzt. Es zeigt sich, dass die Nicht-Beitrags-Einnahmen für eine Umkehrung des Zusammenhangs sorgen. Denn bei der Kombination von Beitragseinnahmen und Nicht-Beitrags-Erträgen haben „ältere“ Kassen tendenziell höhere Erträge je Versichertem. Die Netto-Ausgleichsfonds-Erträge sind schlussendlich (Stufe 3 – grüne Punkte/Linie) einer Verfeinerung der vorangegangenen Stufe. Mit den Zahlungen aus dem Ausgleichsfonds wird die finanzielle Umverteilung von den „jüngeren“ zu den „älteren“ Kassen sogar deutlich signifikant.
Bei der Analyse mit Wien ist nach der Umverteilung zwar eine Verbesserung zugunsten der „älteren“ Kassen feststellbar, allerdings nur leicht signifikant. Grund dafür ist, dass der Österreichische Ausgleich, im Gegensatz zum Deutschen “Risikostrukturausgleich”, nicht nur Demographie und die damit korrelierte Morbidität ausgleicht, sondern auch Versorgungsunterschiede (infrastruktureller Ausgleich). Im Deutschen Risikostrukturausgleich wird die Nicht-Kompensation von infrastrukturellen Unterschieden damit argumentiert, dass andernfalls Strukturunterschiede verfestigt werden würden.
Zusammenfassend gesagt ist der Österreichische Ausgleichfonds groß genug bemessen, allerdings unter der Voraussetzung, dass weiterhin ein wesentlicher Ausgleich zugunsten der beitragsschwächeren/ausgabenintensiveren „älteren“ Krankenkassen bereits über die Nicht-Beitrags-Erträge erfolgt. Ein erheblicher Ausgleich über die Nicht-Beitrags-Erträge ist nämlich feststellbar. Außerdem kann man deutlich erkennen, dass der Österreichische Ausgleich, im Gegensatz zum Deutschen Risikostrukturausgleich, auch strukturelle Unterschiede abseits von Demographie und Morbidität kompensiert – siehe Wien („Großstadtfaktor“).
(C) Ist der Ausgleichsfonds treffsicher? (Bedingt)
Ob der Ausgleichsfonds treffsicher ist, ist schwierig zu beantworten. Tendenziell verteilt er Gelder zu „älteren“ und damit finanziell benachteiligten Gebietskrankenkassen um. Zudem erhält die Wiener Gebietskrankenkasse, trotz der zweitjüngsten Versicherten-Struktur und trotz der deutlich höchsten Beitragseinnahmen je Versicherten Gelder aus dem Ausgleichsfonds. Grund für den Zuschuss ist offensichtlich der „Großstadtfaktor“ – höheres Angebot und damit höhere Leistungsnachfrage. Zwar gibt es laufend Proteste gegen den Wiener “Großstadtfaktor”, speziell von Ausgleichsfonds-Netto-Zahlern in Vorwahlzeiten (LINK), die sogar mit kleinen Erfolgen gekrönt waren, aber die immer noch deutlichen Netto-Erträge aus dem Ausgleichsfonds sprechen dafür, dass der “Großstadtfaktor” grundsätzlich akzeptiert wird. Sollte das tatsächlich der Fall sein, ist der Ausgleichsfonds als treffsicher einzuschätzen.
Zoomt man sich jedoch das Deutsche Risikostrukturausgleichs-Modell (“Morbi-RSA” LINK – finanzieller Ausgleichsmechanismus zwischen Kassen, um Risikoselektion zuungunsten älteren, morbideren Versicherten zu verhindern und fairen Kassenwettbewerb zu ermöglichen) nach Österreich herein, fällt die Bewertung anders aus. Dort gleicht man nämlich explizit keine infrastrukturellen Unterschiede aus, da man dadurch die Verfestigung von Strukturen befürchtet (LINK). Ausgeglichen werden lediglich Morbiditäts-Unterschiede (HMGs), sowie Alters- und Geschlechts-Unterschiede (AGGs). Allerdings wäre ein Großstadtfaktor im Deutschen Krankenkassen-System (GKV) eher vertretbar, weil die Krankenkassen im Nachbarland deutlich weniger Einfluss auf die Versorgungsplanung haben als die hiesigen GKKn (LINK). Wendet man nun den Deutschen RSA auf Österreich an, würde der Österreichische Krankenkassen-Ausgleich wohl als wenig treffsicher bewertet werden. Im RSA-Modell würden nämlich allen acht Bundesländer-GKKn (+15 bis +107 Euro je Versicherten) zusätzliche Ausgleichszahlungen auf Kosten der Wiener GKK (-254 Euro je Vers.) zustehen (siehe Abb. 3). Bei den Berechnungen wurden RSA-Zuschläge auf die Gesamterträge der GKKn nivelliert.
(D) Wäre mit dem aktuellen Ausgleich fairer Kassenwettbewerb möglich? (Bedingt)
Man hat gesehen, dass der Österreichische Krankenkassen-Ausgleichsfonds im GKK-System grundsätzlich akzeptiert ist und neben altersstrukturellen Unterschieden auch infrastrukturelle Unterschiede („Großstadtfaktor“) ausgleicht. Beide Korrekturen würden bei einem Kassenwettbewerb verhindern, dass es zu einer Risikoselektion zu Lasten von älteren oder urbanen Versicherten kommt. Um einen Kassenwettbewerb zu realisieren, müsste allerdings noch ein Automatismus für die Ausgleichszuweisungen etabliert werden, ähnlich den Risikostrukturausgleichen in Deutschland, der Schweiz oder den Niederlanden. Zudem müsste man höchstwahrscheinlich das Etat des Ausgleichsfonds ausweiten.
Tabellen-Anhang